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1. TCM, Huangdi Neijing, Yin-Yang, 5 Phasen
Was heute als Traditionelle Chinesische Medizin (TCM, 中医) bezeichnet wird, meint einerseits eine Reihe bewährter Verfahren zu Diagnose, Prävention und Therapie von Krankheiten, letzteres insbesondere: - Heilmittel (meist Heilkräuter, aber auch tierische und mineralische Substanzen); - Akupunktur und die verwandten Verfahren Moxa, Schröpfen, Massage; Guasha; - Diätetik; - Heilgymnastik wie Qigong und Taijiquan; - Verhaltensregeln.
Scheinbar untrennbar mit diesen Verfahren verbunden ist eine umfassende Medizintheorie bzw. Medizinphilosophie, die auch heute noch auf dem Weltwissen vor ca. 2300 Jahren beruht. In dieser Zeit entstand das Huangdi Neijing (黄帝内经), der "Klassiker der Inneren Medizin des Gelben Kaisers". Bis heute ist dieses Werk die Bibel der TCM. Vorbehaltlos wurden hier die damals herrschenden philosophischen Konzepte auf Körper, Organlehre und Krankheitslehre übertragen. Dies waren vor allem die Yin-Yang-Lehre (阴阳学说) und die Fünf-Phasen-Lehre (五行学说). Die Urtexte gingen früh verloren. Die wichtigste Überarbeitung stammt aus der Tang-Zeit, verfasst von Wang Bing um das Jahr 750, also ca. 1000 Jahre nach Entstehung des Urtextes. Heute besteht das Werk aus zwei Teilen, dem Suwen (素文, "Einfache Fragen") und dem Lingshu (灵枢, "Spirituelle Achse", mit den Grundlagen der Akupunkturtheorie). Widersprüche, Wiederholungen und stilistische Unterschiede in den zweimal 81 Kapiteln belegen, dass viele Textstücke von unterschiedlichen Autoren stammen. Die Frage, ob Yin-Yang-Lehre und Fünf-Phasen-Lehre philosophisch – erst recht medizinisch! – gleichrangig sind, wird erstaunlicherweise kaum gestellt, und zwar im Westen ebenso wie in China. Wir hingegen halten sie, wenn es um die Beurteilung der chinesischen Medizintheorie geht, für entscheidend.
Mehr dazu finden Sie im Teil TCM IN CHINA
2. TCM in Deutschland und auf dieser Website Es gibt in Deutschland zahlreiche Institutionen und Gesellschaften, die sich teils pragmatisch, teils mit quasi-religiöser Inbrunst – und fast immer kritiklos – mit der TCM beschäftigen. Dazu gehören in erster Linie die großen Akupunkturgesellschaften, etwa die "Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur" DÄGfA. Auch die von Manfred Porkert gegründete SMS gehört dazu, ebenso die Jahreskongresse der AGTCM in Rothenburg ob der Tauber. Mehr dazu finden Sie im Teil TCM IM WESTEN. Viele Freunde der chinesischen Medizin tun so, als sei diese der modernen Medizin prinzipiell gleichwertig, in manchen Aspekten gar überlegen. Diese Bewertung können wir nicht teilen. Mit den großen Errungenschaften der modernen Medizin – wie Anatomie und Chirurgie, Physiologie und Pathophysiologie, Pharmakologie, Biochemie, Labordiagnostik, bildgebende Verfahren – kann sich die TCM nicht messen. Sie hat aber eine Reihe bewährter Verfahren entwickelt, deren Anwendung und Erforschung uns lohnend erscheint – nicht mehr und nicht weniger. Was die Theorie betrifft, so sehen wir in der Yin-Yang-Lehre eine geniale Erkenntnis, halten aber den überwiegenden Teil der sonstigen TCM-Theorie (5-Phasen-Lehre, Körper- und Organlehre, Ätiologie, Pathologie) für spekulativ und obsolet. Nützlich und einer Erforschung wert scheinen uns weite Teile der chinesischen Diagnostik, vor allem die 8 Leitkriterien Ba Gang und die Zungendiagnose. Allerdings gehen wir davon aus, dass die chinesischen Ärzte im Altertum in der Regel nicht wegen “funktionellen Störungen” zum Patienten gerufen wurden, sondern in Notfällen oder bei schweren Erkrankungen. Folglich müssen wir davon ausgehen, dass auch die TCM-Diagnostik im Kern eine Diagnostik für Notfälle und schwere Erkrankungen war – also genau solche Fälle, die heute nicht mehr mit TCM behandelt werden, da doch selbst in China Notfälle und akute Krankheiten die unumstrittene Domäne der modernen Medizin sind. Ähnliches gilt für die Anwendung der TCM-Pharmakologie. Auch hier gehen wir davon aus, dass die Mehrzahl der überlieferten Rezepte für Notfälle bzw. schwere Krankheiten gedacht waren – und selbst hier vor allem für eine kurzzeitige Anwendung. Die Erforschung von Langzeit-Nebenwirkungen der TCM-Heilmittel hat aber auch in China gerade erst begonnen. Daher halten wir hierzulande eine umfassende Anwendung von TCM-Heilmitteln und -Heilkräutern derzeit nicht für angebracht.
3. Das Ziel: Integration von TCM-Verfahren ins schulmedizinische Curriculum Zu den genannten Punkten verfolgt diese Website ein konkretes Ziel: Sie will Grundlagen schaffen, die bewährten Verfahren der TCM nicht nur anzuwenden, sondern auch, ohne schamrot zu werden, an Universitäten lehren und ins normale medizinische Curriculum integrieren zu können. Dazu braucht es kein unkritisches Nachbeten. Auch das vorschnelle Festlegen seltsamer Lehrinhalte (wie dies die Akupunkturgesellschaften im Zusammenhang mit der “Zusatzbezeichnung Akupunktur” getan haben) ist dafür wenig hilfreich. Nötig ist vielmehr eine zwar neugierige und wohlwollende, aber im Kern kritische Haltung.
Ausdruck dieser kritischen Neugier ist beispielsweise der Nachweis, dass George Soulié de Morant, der "Vater der westlichen Akupunktur", ein Schwindler war - siehe dazu den aktuellen Beitrag im Deutschen Ärzteblatt 107 (30) sowie die ausführlichen Materialien zum Fall Soulié de Morant auf dieser Website. Die Resultate zeigen, dass die Lehrinhalte der deutschen Akupunkturgesellschaften – nach wie vor in weiten Teilen auf den Lehren Soulié de Morants beruhend – vielfach dem Aberglauben näher sind als rationaler Medizin. Sie zeigen weiterhin, dass die Einführung der "Zusatzbezeichnung Akupunktur" auf dem 106. Ärztetag 2003 voreilig war. Sie zeigen leider auch, dass die Akupunkturgesellschaften zwar schnell bei der Hand waren, ihren Kursteilnehmern dubiose Inhalte vorzuschreiben und gegen teures Geld zu lehren. In der Frage jedoch, was ihre Dozenten können und wissen müssen, halten sie sich lieber bedeckt. Unser Standpunkt: Angesichts der unzureichenden Literatur in westlichen Sprachen sind Dozenten ohne fundierte Chinesischkenntnisse nicht qualifiziert, chinesische Medizin seriös zu unterrichten.
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